Liebe Stammesführer*innen,

der Sommer und damit auch die Zeit der Lager und Großfahrten steht vor der Tür – wir hoffen, dass viele von euch schon auf gepackten Rucksäcken sitzen und es bald losgeht!

So schön Lager und Fahrten auch sind, dieses intensive Beisammensein über eine längere Zeit kann auch bedeuten, dass Sorgen oder Ängste hochkommen. Daher wollen wir euch ein paar Tipps und erste Anlaufstellen mitgeben, damit ihr – im Falle des Falles – vorbereitet seid und wisst, wie ihr der betroffenen Person helfen könnt.

Eine Sache vorweg: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, um mit psychischen akuten Krisen umzugehen. Wenn es sich für euch bzw. die Fahrtenleitung gut anfühlt, dann ist es meistens auch der richtige Weg. Wenn es sich nicht gut anfühlt, dann vertraut eurem Bauchgefühl und sucht euch (weitere) Hilfe. Bitte lest die folgenden Infos und Tipps noch vor der Abfahrt sorgfältig durch. Überlegt euch, welche Informationen ihr noch braucht, und recherchiert diese. Gebt alle Infos bitte auch an eure Fahrtenleitungen weiter.

Wichtig: Es handelt sich hierbei um Tipps – nicht um eine Handlungsanweisung und auch nicht um die Empfehlung, alles genau so umzusetzen. Es ist auch keine Garantie, dass es funktioniert. Es kann gut sein, dass eure Situation so individuell ist, dass euch diese Tipps nicht weiterhelfen. Sucht euch im Zweifel bitte Hilfe bei einer der unten genannten Beratungsstellen.

Wir wünschen euch eine wunderbare und krisenfreie Sommerfahrtenzeit!

Euer AK intakt



1. Das wichtigste zuerst: Selbstschutz!

Es ist nicht deine Aufgabe oder Verantwortung alle persönlichen Probleme deiner Mitglieder zu lösen. Deine Aufgabe ist es, ein Lager zu gestalten und alle (!) Teilnehmenden wieder gesund heimzubringen. Das gilt auch für euch!

Die Sippe ist total aufgewühlt, weil ein Kind total querschießt oder große emotionale Probleme hat? Dann ist es auch deine Aufgabe, die Sippe zu schützen und dafür zu sorgen, dass das Kind ggf. von seinen Eltern bzw. Erziehungsberechtigten abgeholt wird.

Du fühlst dich überfordert mit einem psychischen Problem einer Person? Dann darfst du dich schützen und die Person auch abholen lassen! Achtet auf euch! Zuerst!

2. Was tun, wenn es jemandem nicht gut geht?

Als Erstes könnt Ihr jemanden aus dem Stammesrat ins Vertrauen ziehen und eureBeobachtungen und euer Bauchgefühl teilen.

Dann solltet ihr das Gespräch mit der betroffenen Person suchen. Sucht euch eine ruhige Ecke und beschreibt, was ihr wahrnehmt, und bringt zum Ausdruck, dass ihr euch Sorgen macht. Fragt die betroffene Person, ob eure Beobachtungen stimmen, wie es ihr geht und was los ist. Anschließend könnt ihr gemeinsam überlegen, was ihr tun könnt, damit es der Person besser geht.

Setzt diese Ideen um und fragt anschließend immer mal wieder nach, ob es sich nachhaltig gebessert hat. Wenn nicht, dann sucht nach weiteren Lösungsideen. Oft hilft dieses erste Gespräch schon sehr gut. Ziel ist es nicht, alle Probleme der Person zu lösen, sondern die Situation so zu gestalten, dass alle eine gute Zeit auf dem Lager haben.

3. Was tun, wenn das Gespräch mit der Person nicht hilft und sich die Situation nicht verbessern lässt oder schlimmer wird?

Besprecht die Situation zunächst in der Lagerleitung/Stammesführung: Wie schätzt ihr die Situation ein? Wer hat welche weiteren Informationen? Vielleicht weiß die jeweilige Sippenführung mehr über die betroffene Person? Überlegt auch: Was ist mit den anderen in der Gruppe? Sind sie durch die Situation beeinflusst, zum Beispiel weil sie sich auch Sorgen machen?

Folgendes könnt ihr machen:

  • Sucht noch einmal das Gespräch mit der betroffenen Person. Macht dabei deutlich, dass ihr euch ernsthaft Sorgen macht und helfen möchtet. Zeigt auch auf, dass die anderen Stammesmitglieder sich ebenfalls Sorgen machen und dass ihr dafür sorgen müsst, dass es allen gut geht.
  • Überlegt gemeinsam, was ihr noch tun könnt, um die Situation zu verbessern. Trefft konkrete Vereinbarungen, die die Person bis zum nächsten Tag umsetzen soll (je nach Situation, z. B. am Programm teilnehmen, in der Küche helfen, andere Aufgaben im Lageralltag übernehmen, um sich nützlich zu fühlen, mindestens einen halben Teller essen, mindestens einen Becher pro Mahlzeit trinken, an der Singerunde teilnehmen, nicht allein in der Kohte rumgammeln etc.). Sprecht am nächsten Tag darüber und trefft weitere Vereinbarungen.
  • Fragt, ob und wie die anderen aus der Sippe oder der Fahrtengruppe helfen können. Wenn sich andere auch schon große Sorgen machen, dann sprecht auch mit ihnen. Sagt ihnen, dass ihr das Problem seht und mit der Person auch gesprochen habt.

4. Was tun, wenn jemand sich selbst verletzt oder androht sich selbst zu verletzten?

Wenn sich jemand selbst verletzt oder ankündigt, sich selbst zu verletzen, oder vielleicht über Tage hinweg nichts isst, dann gelten zwei Dinge: Verfallt nicht in Panik, nehmt es aber auch nicht auf die leichte Schulter!

Grundsätzlich: Lasst eine Person, die sowas sagt, nicht mehr allein. Sie kann von einem anderen Sippenmitglied begleitet werden oder ihr achtet darauf, wo sie ist. Leider können wir keine generellen Empfehlungen für so eine Situation geben, denn es ist wirklich sehr individuell, was getan werden sollte.

Folgende Dinge könnt ihr tun:

  • Sprecht mit der Person, was und warum sie das gesagt hat. Sagt, dass ihr diese Aussagen sehr ernst nehmt und was sich die Person jetzt wünschen würde, was ihr macht. Das bedeutet nicht, dass ihr das auch tut! Aber es ist wichtig zu wissen, was der Person gerade wichtig ist.
  • Ihr könnte gemeinsam überlegen, was ihr tun könnt, damit die Person sich nichts antut. Sprecht auch darüber, was passiert, wenn die Person sich nicht daran halten kann.
  • Ihr könnt die Eltern anrufen und die Situation schildern. Fragt, ob sowas schon öfter vorgekommen ist und wie die Eltern die Situation einschätzen. Lasst die Eltern ggf. mit dem Kind sprechen. Überlegt anschließend gemeinsam, was ihr tun wollt. Solltet ihr die Eltern anrufen, informiert die betroffene Person vorher darüber!
  • Ihr könnt eine der Krisennummern anrufen und Euch beraten lassen.
  • Ihr könnt die Eltern anrufen und die betroffene Person direkt abholen lassen.

5. Was tun, wenn jemand androht sich umzubringen oder sich trotz Gesprächen weiter verletzt?

Auch hier gilt erst mal: Keine Panik!

Solche Androhungen sollte man grundsätzlich ernst nehmen. Sprecht die Person deswegen darauf an.

Sagt, dass ihr die Verantwortung am Lager nicht für sie tragen könnt, wenn sie über so eine Tat nachdenkt. Informiert über die Schritte, die ihr unternehmt! Um einzuschätzen, wie ernst eine Person eine solche Ankündigung meint, braucht man sehr viel Erfahrung und über die verfügen wir im Kontext im Regelfall der Pfadfinder*innen nicht. Eine sehr gute Möglichkeit ist es deshalb, die Person von den Eltern abholen zu lassen. Es geht hierbei um den Schutz der betroffenen Person und den könnt ihr nicht mehr garantieren. Und somit geht es auch um euren Schutz. Es ist die Verantwortung der Eltern, das Kind oder die*den Jugendliche*n abzuholen. Dies gilt auch, wenn ihr im Ausland seid und die Abholung für die Eltern kompliziert ist, Flüge gebucht oder weite Strecken gefahren werden müssen. Besteht bei Bedarf darauf, dass sich die Eltern um die Abholung kümmern. Es kann dann sein, dass ihr ggf. noch einen Tag und/oder eine Nacht überbrücken müsst. Lasst die betroffene Person in dieser Zeit nicht allein. Fragt, was ihr tun könnt, damit es ihr so gut wie möglich geht.

Es kann auch sein, dass die betroffene Person euch Vorwürfe macht und sauer oder wütend wird, weil ihr sie abholen lasst. Das ist aus der Sicht der betroffenen Person eine normale Reaktion. Versucht das nicht persönlich zu nehmen, diskutiert nicht mit der betroffenen Person, denn sie wird eure Sichtweise nicht verstehen und für eure Argumente nicht zugänglich sein. Vielleicht ist die betroffene Person auch einfach nur traurig oder still, auch das ist normal. Versucht einfach so gut es eben geht, für die Person da zu sein und ihr zu sagen, dass sie Teil eurer Gemeinschaft bleibt, dass es jetzt aber erst mal darum geht, dass sie Hilfe bekommt.

Wenn ihr das Gefühl habt, dass ihr nicht mehr für die Sicherheit der betroffenen Person garantieren könnt oder die Krise so akut ist, dass jemand dabei ist, sich etwas anzutun, dann ruft den Rettungsdienst – die Notrufnummer 112 ist europaweit einheitlich! Bitte habt hier keine Scheu – das wirkt drastisch, ist aber in der Notsituation das richtige Handeln, denn dann kommen Profis und helfen euch und der betroffenen Person!

6. Was tun bei einem Verdacht auf sexualisierte Gewalt?

Auch in diesem Fall gilt: Ruhe bewahren!

Biete dem Kind bzw. der*dem Jugendlichen eine Anlaufstelle, um sich dir anzuvertrauen. Glaube deinem Gegenüber, wenn es sich dir anvertraut. Hör zu und gib keine Versprechen, die du nicht halten kannst (z. B. „Ich werde es nicht weitererzählen.“).

Achte auf weitere Zeichen, um ein möglichst umfangreiches Bild von der Situation zu bekommen. Dokumentiere deine Beobachtungen und Gespräche, die du mit der betroffenen Person und anderen führst, sowie dein Vorgehen schriftlich, damit du dich später an alles erinnerst. Hol dir Unterstützung! Besprich deine Vermutung vertraulich mit einer Vertrauensperson aus deinem Stamm und wende dich an die intakt-Kontaktpersonen des Landesverbands. Diese findest du unter https://bayern.pfadfinden.de/landesverband/intakt.

Weitere Informationen zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt im BdP findest du unter https://www.pfadfinden.de/kinderschutz/praevention.

7. Was tun, wenn ihr nicht wissen, was ihr tun sollt oder unsicher seid?

Wenn ihr unsicher seid, dann ruft eine der Krisennummern an und lasst euch beraten. Im Zweifel: Schützt euch selbst und die anderen Kinder und Jugendlichen, die euch anvertraut wurden.

8. Was sagt ihr den Eltern nach dem Lager?

Es kann passieren, dass es eine Krise gab, diese vor Ort gut aufgearbeitet werden konnte und euch die betroffene Person bittet, die Eltern nicht zu informieren. 

Versucht herauszufinden, warum die betroffene Person euch darum bittet – je nach Grund könnt ihr der Bitte nachkommen oder auch nicht. Wenn ihr euch unsicher seid, dann lasst euch im Nachgang von einer Beratungsstelle helfen. Das geht auch anonym. Meldet euch beim Vorstand oder beim AK intakt, wenn ihr nicht wisst, wo ihr Euch hinwenden könnt.

9. Wo könnt ihr euch beraten lassen?

  • Die Krisendienste Bayern sind täglich rund um die Uhr erreichbar. Dort beraten euch Fachpersonen. Wenn ihr in Bayern seid, können Krisenteams auch vorbei kommen. https://www.krisendienste.bayern Telefon: 0800/655 3000
  • Das Kinder- und Jugendtelefon der Nummer gegen Kummer ist anonym und kostenlos vom Handy und Festnetz erreichbar: 116 111 (montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr). Hier könnt ihr anrufen oder auch die betroffene Person kann sich hier akut Hilfe holen! Das Kinder- und Jugendtelefon der Nummer gegen Kummer bietet auch eine online-Beratung an. Der Chat ist montags bis donnerstags von 14 bis 20 Uhr erreichbar, eine Mail könnt Ihr jederzeit schreiben: https://www.nummergegenkummer.de/onlineberatung
  • Krisenchat.de bietet kostenfreie und vertrauliche Beratung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren über Chat an. Das Angebot ist jeden Tag rund um die Uhr über WhatsApp und SMS, ohne Anmeldung und Registrierung erreichbar. Bei allen Ängsten, Problemen und Sorgen können Betroffene hier Hilfe finden.

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